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Rammstein-Debatte: Machtmissbrauch in der Musikindustrie?

Rammstein-Sänger Till Lindemann sitzt mit blonder Perücke und ernstem Blick vor einem Teller mit einem Burger
Das letzte Abendmahl für Till Lindemann? | Bild: obs LikeMeat GmbH

In Positionen von Macht entsteht allzu häufig ein Ungleichgewicht, welches die starken Parteien deutlich über die schwächeren stellt. Gerade ist eine Kontroverse um Rammstein-Sänger und -Texter Till Lindemann losgebrochen. Mehrere Anschuldigungen wurden publik gemacht, die aussagen, er hätte seine Machtposition missbraucht und sich diversen jungen Frauen aufgezwungen. Ich habe die Rammstein-Debatte zum Anlass genommen, meine Meinung zum Thema in Worte zu fassen.

Disclaimer

Mit der Rubrik "Kolumne" widmen wir uns aktuellen Themen aus dem Bereich der Musik, die wir als würdig empfinden, ausgiebig diskutiert zu werden. Hier möchten wir persönliche Meinungen abbilden. Dabei gilt der Disclaimer, dass alles Nachfolgende lediglich die Meinung des Autors darstellt. Es geht keineswegs darum, Partei für irgendeine Seite zu ergreifen. Stattdessen geht es darum, vorsichtig abgewogene Gedanken über sensible Inhalte der Außenwelt zu kommunizieren. Dafür zu sorgen, dass ein gesunder Diskurs etabliert wird. Solche Diskurse scheinen in unserer heutigen Welt immer mehr abhandengekommen zu sein. Daher ist es von größtmöglicher Wichtigkeit, nuanciert miteinander, anstatt gegeneinander zu diskutieren.

Entsetzliche Vorwürfe gegen Till Lindemann

Ende Mai erhob die Nordirin Shelby Lynn nach einem Rammstein-Konzert in Vilnius schwere Vorwürfe gegenüber Frontmann Till Lindemann. Angeblich wurde sie nach dem Konzert von der Casting-Direktorin Alena Makeeva Backstage bestellt und zwar explizit, um mit dem Sänger Sex zu haben. Bereits während des Konzerts war sie in der sogenannten “Row Zero“ untergebracht – einem speziellen Bereich vor der Bühne, wo sich hauptsächlich hübsche junge Frauen aufhalten. So soll der Show eine zusätzliche ästhetische Komponente verliehen werden.

Danach soll sie mit Unmengen Alkohol gefügig gemacht worden sein, lehnte aber dennoch ein direktes Angebot nach Geschlechtsverkehr mit Lindemann ab. Dem folgten starke Erinnerungslücken. Als sie am nächsten Morgen in ihrem Hotel aufwachte, erblickte sie einige großflächige Hämatome an Beinen und Oberkörper. Daraus schlussfolgerte sie, dass sie am vorherigen Abend Opfer eines “Spikings“ wurde. Einem böswilligen, grenzüberschreitenden Versetzen der Getränke mit entkräftenden Substanzen wie Rohypnol, um ihre resultierende Hilflosigkeit für sexuelle Übergriffe zu nutzen. Rammstein hat diese konkreten Vorwürfe direkt dementiert, sich aber dennoch von ihrer Casting-Direktorin getrennt.

Rammstein-Debatte: Der Stein kommt ins Rollen

Nach diesem initialen Tadel meldeten sich mehrere Frauen, die ähnliche Ereignisse bei vergangenen Rammstein-Konzerten schilderten. Manche von ihnen datieren mehrere Jahre zurück. Hierdurch begann der größte Skandal, dem die Berliner Band je ausgesetzt war, wobei diese von einer Plethora von Skandalen über ihre fast dreißigjährige Karriere berichten kann.

Dieses Phänomen erinnert stark an die bekannte #metoo-Debatte, bei der es um eine soziale Bewegung innerhalb der USA geht, die sich seit Oktober 2017 gegen Machtmissbrauch in der Filmindustrie ausspricht. Nun startet also Music-#metoo, was überhaupt nicht überraschend erscheinen sollte. Denn Machtmissbrauch in der Musikbranche, Filmbranche etc. ist gegenwärtig und stellt ein Symptom eines viel weiter reichenden System-bedingten Problems dar. Debatten wie diese, sind unabdingbare wichtige Anstöße, um eine Gesellschaft zu schaffen, die wahrlich gleichberechtigt und ohne Vorurteile auskommt. Denkanstöße in unserer Welt, geprägt von medialer Vorverurteilung, die viel zu häufig in eine Kakophonie der Schuldzuweisung aus arten, ohne jegliche konstruktive Kritik zu äußern, um in respektvoller Kollaboration eine utilitaristische Lösung anzustreben.

Rollenbilder im Rock´n´Roll

Zurück zum Thema der sexualisierten Übergriffe vonseiten Till Lindemanns. Groupies beziehungsweise Menschen, deren große Fantasie es ist, mit ihrem Idol, egal in welchem Bereich er oder sie tätig ist, den sexuellen Akt durchzuführen, um dadurch größeres soziales Ansehen zu gewinnen, sind so alt wie die Musikgeschichte. Dieser Prozess, der sowohl auf männlicher als auch weiblicher Seite erkennbar ist, wird in der Ethnosoziologie als Hypergamie bezeichnet. Das heißt, dass ein Mensch sich bewusst einen gesellschaftlich höhergestellten Partner aussucht, um selbst aus seiner jeweiligen Schicht aufzusteigen.

Kommen wir hier zu den klassisch geprägten Rollenbildern innerhalb der Welt des Rock´n´Roll: Die starken und dominanten Männer, die schweißtreibenden Rock spielen, tun dieses mit dem urzeitlichen Hintergedanken, dass sie dafür mit attraktiven Partnerinnen im Überfluss belohnt werden. Das heißt, dass Rockstars des öfteren in Versuchung kommen, wenn sich gutaussehende junge Frauen ihnen anbieten. Dasselbe gilt im Umkehrschluss natürlich, wenn die Positionen getauscht sind. Gewisse Allmachtsfantasien können im Laufe einer exorbitanten Karriere manifest werden, vor allem bei dem größten musikalischen Export Deutschlands.

Rock´n´Roll Cancel Cuture?!

Seit ein paar Jahren hat eine spürbare Cancel Culture, vor allem befeuert durch mediale Vorverurteilungen, eine hartnäckige Präsenz etablieren können. Wenn jemand scheinbar gegen den Hauptkonsens-Strom schwimmt, dann bewaffnen sich die Massen auf sämtlichen sozialen Plattformen und schießen mit einem rhetorischen Arsenal auf den vermeintlichen Täter, um ihn oder sie mundtot zu machen. Nun werden diese Taktiken gegen Till Lindemann und ausgebreitet gegen Rammstein benutzt. Der Band sind Provokationen und Flirten mit Tabuthemen nicht fremd, dennoch werden sie nun aufgrund anrüchiger und skandalöser Texte an den Pranger gestellt. Noch mehr: Diese werden als Indizien gegen sie verwendet, um die mutmaßlichen Taten als feste Wahrheiten anzusehen.

Nun wurde schon der Firmensitz der Band attackiert und Aufmärsche initiiert, um den Musikern keine Bühne mehr einzuräumen. Kleinere Bands haben sich ebenfalls in die Debatte eingeschleust und eine Schuldbekundung öffentlich losgetreten. Und das, obwohl noch keine Verbrechen nachgewiesen sind. Dies kann davon zeugen, dass diese Gruppen missgünstig und auf den Hype-Zug der Moderne aufgesprungen sind, da sie jede irgend mögliche Gelegenheit suchen, um selbst ein wenig Rampenlicht und Relevanz abzubekommen.

Till Lindemann – verschwommene Grenze zwischen Kunst und Künstler

Die Figur und der Privatmensch Till Lindemann sind zwei völlig unterschiedliche Charaktere, was für nahezu alle großen Persönlichkeiten der Rockmusik gilt. Das muss die Mehrheit lernen zu verstehen. Freunde und Bekannte des Sängers, ebenso wie diverse psychologische Analysen, attestieren ihm eine immense Feinfühligkeit und Sensibilität. Und dass er eben abseits der Bühne eher introvertiert als sein extrovertiertes und extremes Bühnen-Ich sein soll. Seine Ex-Freundin steht ebenfalls zu ihm und behauptet, er wäre ein Mann, der Frauen beschützt und respektiert.

In Interviews mit ihm ist zu erkennen, dass Härte und Sanftheit klar akzentuierte Gegenpole sind, die er gewissenhaft einzusetzen vermag. Dort erscheint er wie ein filigraner Mensch, der eine sehr bildliche Sprache vorweist, die in Paarung mit der aggressiven Musik einen gelungenen Kontrast erzeugt. Dennoch kann der Weltruhm, wie ihn Till Lindemann genießt, korrumpieren und es einem für selbstverständlich ansehen lassen, vor, bei und nach Konzerten Sex zu bekommen. Ein Gedicht namens “Wenn Du schläfst“, welches aus der Täterperspektive einen Vergewaltigungsakt schildert, soll nun der Beweis dafür sein, dass die Vorwürfe bezüglich eingeflößten K.O. Tropfen auf wahrhaftigem Boden beruhen. Hier sollte darauf geachtet werden, dass Lyrik, egal wie losgelöst sie von gängigen Moralvorstellungen betrachtet werden kann, stets von der Kunstfreiheit gedeckt ist und ein Lyrisches Ich personifizieren, dass nicht zwangsläufig mit dem reellen Ich konform geht.

Wahrung der Demokratie und des Rechtsstaats

Die Tatsache, dass sich verachtungswürdige Anschuldigungen gegenüber Rammstein´s Till Lindemann und seinem Verhalten gegenüber Frauen hinter den Kulissen häufen, ist schrecklich. Nun ist es Aufgabe der Staatsanwaltschaft, diese auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen. Falls sie sich bewahrheiten sollten, dann wäre das absolut niederträchtig und entschuldbar. Trotzdem leben wir hier in Deutschland in einem Rechtsstaat, dessen Demokratie gewahrt werden muss. Daher gilt bis zum endgültigen Nachweis des Tatbestandes die Unschuldsvermutung.

Es ist also meiner Meinung nach unerhört, dass bei den Schilderungen eine Seite ergriffen wird, als ob alles schon faktisch belegt wäre.

Die Rammstein-Debatte: Puzzleteil einer viel weitreichenderen Symptomatik?

Die Fragen häufen sich und es ist eine verworrene Angelegenheit, die noch einige Zeit in Anspruch nehmen wird, um vollends gelöst werden zu können. Das lange Schweigen der Betroffenen kann dadurch beantwortet werden, dass sich eine komplexe Gefühlskette bei Personen nach solchen Übergriffen über sie legt. Viele verspüren eine große Scham nach sexuellen Gewaltdelikten, da solche Verbrechen leider allzu oft der Frau selbst angekreidet werden.

Dies hängt mit einer größeren systemischen Symptomatik zusammen. Denn solche Machtmissbrauchsfälle in der Musikindustrie sind Teil eines größeren Problems, da unsere Gesellschaft auf Gewalt und Missbrauch aufgebaut ist. Nur die Ermittlungen werden Klarheit schaffen, vorerst sollten sämtliche Beschuldigungen kritisch beäugt werden. Es kann sehr wohl sein, dass aufgrund des politischen Klimas Rammstein ein Dorn im Auge geworden sind, da sie eine archaische, stolze Männlichkeit vertreten. Bevor jemand auf den Scheiterhaufen geführt wird, muss erst die Schuld in allen Belangen und auf faktischer Basis nachgewiesen werden. Nicht nur über Kommunikation auf der Gefühlsebene. Bösen Zungen glaubt man nicht, die Wahrheit kommt doch eh ans Licht.

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Ursprünglich veröffentlicht am 25. Juli 2023 aktualisiert am 30. Juli 2023

Originally published on Juli 25, 2023, updated on Juli 30, 2023

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